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Das Bild zeigt einen Kreisverkehr, aus dem ein Pfeil austritt - als Symbol für Flexibilität

Vor einiger Zeit habe ich von einer guten Freundin das Buch „Die Kunst des guten Lebens“ von Rolf Dobelli geschenkt bekommen. Auf der Suche nach dem guten und glücklichen Leben stellt Dobelli uns in 52 Kapiteln seinen persönlichen mentalen Werkzeugkoffer vor und legt ihn uns ans Herz.

Manche Kapitel haben meine Sichtweise bestärkt und ich habe innerlich immer „ja“ gerufen. Andere waren sperriger, haben mich aber zum Denken angeregt und wieder andere haben meinen Widerstand hervorgerufen.

Auf jeden Fall ist es ein lesenswertes kleines Buch, und da ich mich als Life-Coach und Mentaltrainerin sehr für das glückliche Leben interessiere, werde ich einige Kapitel daraus hier in meinem Blog kritisch beleuchten. Heute geht es um das zweite und dritte Kapitel mit den Titeln „Die hohe Fertigkeit des Korrigierens“ und „Das Gelübde“ (Dobelli 2017: 21-31), die ich etwas widersprüchlich finde.

Was können wir für ein gutes und glückliches Leben tun? Sollen wir flexibel und stets schnell reagierend durchs Leben navigieren oder lieber ordentlich Zeit und Gehirnschmalz darin investieren, einen guten – vielleicht den perfekten Plan – für unser Leben zu entwerfen? Was meint ihr?

Im zweiten Kapitel erklärt Dobelli uns zunächst, dass es im Leben nicht auf den perfekten Start bzw. Plan ankommt, sondern um das ständige Nachjustieren. Das hat er als Hobby-Pilot gelernt. Ein Plan ist nur solange gut, wenn er ständig korrigiert werden kann. Nach Dobelli gibt es nicht die perfekte Ausbildung, das einzig mögliche Lebensziel und folglich sollten wir nicht so viel Zeit in die perfekte Strategie stecken, sondern mehr die Kunst des Korrigierens üben.

Hier bin ich ganz Dobellis Meinung, und finde, wir Deutschen legen oft zu viel Wert auf das beste Zertifikat, die beste Uni, den perfekten Plan. Da das Leben und die Welt tendenziell immer schneller und komplizierter werden, sollten wir jedoch bereit sein, unsere Pläne schnell in die Tat umzusetzen und immer wieder anzupassen. Auch ein Scheitern verliert unter diesem Gesichtspunkt die scheinbare Schmach.

Dabei muss ich an eine Freundin denken, der es sehr schwerfiel, sich und anderen einzugestehen, dass ihre Selbstständigkeit nicht funktioniert hatte. Na und? Immerhin hatte sie es versucht und wahrscheinlich viel dabei gelernt. Wo seid ihr schon mal gescheitert? Schließlich kommt es auch immer sehr auf die äußeren Umstände an, die einmal zu unserem Gunsten laufen und ein andermal nicht. Ich hatte mit meiner Selbstständigkeit Glück, viel Glück. Und meinen ursprünglichen Plan habe ich trotzdem schon mehrfach revidiert.

Was dieses zweite Kapitel angeht, so bin ich also vollkommen mit Dobelli einer Meinung.

Schwieriger wird es mit Dobellis drittem Kapitel mit dem Titel „Das Gelübde“. Hier rät er dazu, eine radikale Inflexibilität an den Tag zu legen, wenn es um wichtige Themen geht. Mit bedingungslosen Prinzipien sparen wir laut Dobelli viel Zeit und Energie, da wir nicht ständig Vor- und Nachteile abwägen und von Fall zu Fall entscheiden müssen. Das hört sich erst mal für mich nach einem krassen Widerspruch zum vorigen Kapitel an und entsprechend skeptisch runzelte ich meine Stirn, als ich dieses Kapitel las. Dobelli glaubt, dass man durch radikale Inflexibilität langfristige Ziele besser erreichen und sich eine Reputation aufbauen kann. Er zitiert immer wieder den Investor Warren Buffett, der prinzipiell auf die Option des Nachverhandelns verzichtet. Diese bedingungslosen Prinzipien nennt Dobelli Gelübde und rät dazu, uns an unsere Gelübde regelrecht zu ketten, diese also zu 100 Prozent einzuhalten. Er behauptet, Flexibilität mache „unglücklich, müde und lenkt Sie unmerklich von Ihren Zielen ab“ (Dobelli 2017: 31).

Hmm, wie gesagt, ich empfinde das als einen gewissen Widerspruch zum vorigen Kapitel, indem Dobelli zum ständigen Nachjustieren plädiert, was ja eher viel Flexibilität erfordert. Gleichzeitig habe ich mir beim Lesen des dritten Kapitels ständig überlegt, ob ich selbst solche bindungslosen Prinzipien im Leben habe, nach denen ich mich immer verhalte.

Abgesehen von komplett Illegalem oder komplettem gesellschaftlichen Aus-der-Reihe-Tanzen sind mir nach reiflicher Überlegung ganze acht bedingungslose Prinzipien eingefallen, bei denen ich völlig unflexibel bin. U. a. mir vor dem Zubettgehen am Abend immer die Zähne zu putzen, meinem Ehemann treu zu sein, „korrekt“ gekleidet in Webmeetings zu erscheinen und die Webcam anzuschalten, wenn es technisch möglich ist. Auch wenn es vielleicht manchmal Situationen und Versuchungen gibt, denen ich nachgeben könnte, tue ich es nicht. Wie viele bedingungslose Prinzipien habt ihr? Etwa mehr als acht? Seid ihr schon radikal inflexibel, wie es Dobelli in diesem dritten Kapitel propagiert?

Bei näherer Betrachtung haben meine bedingungslosen Prinzipien viel mit meinen Werten zu tun, also dem, was mir wichtig ist im Leben, zum Beispiel ein gepflegtes Äußeres, Treue, Ehrlichkeit und Professionalität.

Also, um wieder auf Dobelli zurückzukommen, vielleicht können wir die beiden Kapitel so miteinander in Einklang bringen: In wichtigen Dingen benötigen wir bedingungslose Prinzipien für unser Verhalten, die sich an unseren Werten orientieren und uns viel Zeit und Energie im Leben ersparen. Hierauf sollten wir uns immer berufen und uns maximal inflexibel verhalten. Diese Prinzipien führen dann zu gewisses Verhaltensroutinen, die uns stark machen. Wenn es allerdings um große langfristige Pläne in unserem Leben geht, dann sollten wir sehr wohl viel Flexibilität an den Tag legen, unseren Kurs immer wieder überprüfen und nachjustieren. All unsere Pläne und unser Nachjustieren dürfen aber nie im Widerspruch stehen zu unseren bedingungslosen Prinzipien. Diese müssen sozusagen immer gelten.

Also, mein Fazit zu diesen beiden Kapiteln lautet: Ich hätte hier und da weniger radikale Formulierungen gebraucht als Donelli und seiner Meinung nach sollte ich mir bestimmt noch mehr von diesen bedingungslosen Prinzipien zulegen, um noch mehr Zeit zu sparen und noch unnachgiebiger zu sein. Doch das passt einfach nicht zu mir.

Als Coach und Trainerin muss ich sowieso maximal flexibel sein, da sich Interaktion mit Menschen nicht perfekt planen lässt, darf mir aber im Gegenzug das bedingungslose Prinzip gönnen, allen meinen Klienten und Klientinnen mit einer wahrhaftigen Wertschätzung zu begegnen, ganz unabhängig davon, wie ich persönlich zu ihren Lebensplänen stehe. Denn schließlich wird jeder mit einem anderen Leben glücklich, und vielleicht auch mit einem anderen Maß an flexiblem Nachjustieren und radikaler Inflexibilität.

Literatur:

Dobelli, Ralf (2017): Die Kunst des guten Lebens. 52 überraschende Wege zum Glück, München: Piper Verlag