Ist die „klassische Familie“ wirklich die Beste?
Ich sitze mit dem ältesten Freund meines Mannes im Café. Der Mann ist von eher kleinem Wuchs und dafür umso größerem Ego. Immer, wenn wir uns treffen, geht es spätestens nach zehn Minuten nur noch um das „Wunderkind“, seine „einmalige Tochter“. Nie war ein Kind schöner, schlauer, beliebter und überhaupt besser in allem. Insgesamt ist bei ihnen alles perfekt! Taten mir in den ersten Jahren solche Ausschweifungen noch weh, so langweilen sie mich in der letzten Zeit einfach nur.
So auch bei diesem Treffen. In einer Endlosschleife werden alle Wundertaten von Thea vor mir ausgebreitet: „Die Kleine hat dem Nachbarjungen eins auf die Nase gehauen und gezeigt, wie der Hase läuft.“
„Im Kindergarten stehen die anderen Kinder stramm, wenn Thea kommt und tragen Trauerflor, wenn sie mal krank zu Hause bleiben muss.“
„Natürlich kann sie schon lesen, schreiben und viel besser rechnen als die anderen ihres Alters.“
„Bei ihrer Musikalität wird sie sicher ein neuer Mozart oder Beethoven“
usw…
Ich antworte abwechselnd mit „ah ist ja toll“, „nein der Wahnsinn“, „der Hammer“, „echt jetzt?“
Irgendwann gehen mir die Superlative aus und ich stelle die Frage, was sie denn sonst noch so daheim machen würden, seine Frau und er, als Paar sozusagen. Er kommt ins Grübeln: „Hm, also eigentlich arbeiten wir den ganzen Tag, dann putzt meine Frau das Haus und natürlich kümmern wir uns noch um unsere Kleine, die darf ja nicht zu kurz kommen“. Er setzt schon wieder zu einer neuen Thea-Geschichte an, doch ich fahre kurz dazwischen, „und sonst?“ , frage ich. Schweigen, dann etwas zögerlich: „Also ganz ehrlich, ich bin in meiner Freizeit immer nur froh, wenn ich abends einfach vor dem Fernseher noch ein Bier trinken kann. Die Kleine schläft ja auch immer gerne bei uns im Bett, das ist manchmal schon stressig“. „Und deine Frau?“ , bohre ich nach „wie geht es der“? „Nun ja die kocht abends und wischt noch mal kurz durch, sammelt sich ja doch eine Menge Dreck mit so einem Kind“. „Klingt ja echt nach Spaß bei Euch“, meine ich und lehne mich entspannt zurück. Also doch nicht das perfekte Familienleben, wie sie uns immer weismachen wollen. Klingt doch alles nach verdammt viel Show. Wie anstrengend!
Ein Gutes hat die Kinderlosigkeit für mich. Ich bin raus aus dem Spiel des Immer-besser- und -toller-Machens und des der Norm-entsprechen-Müssens. Ich muss mich mit niemandem mehr vergleichen, kann meine geliebten Patenkinder sehen, wenn ich sie sehen will und sie wieder zurückgeben, wenn ich eben nicht mehr will. Wetteifern mit anderen Müttern über Kinder bleibt mir erspart. Ich muss nicht peinlich berührt schweigen, wenn mein Spross in Mathe eine Niete oder Legastheniker ist. Wenn sich mein Junge mehr für Barbies als für Fußball interessiert oder meine Tochter so gar nicht mit den anderen Kindern zurechtkommt. Ich kann daneben sitzen und habe oft den Eindruck, dass Menschen mir wegen meines offensichtlichen Makels (ungewollt kinderlos), offener begegnen, sich eher trauen auch ihre Schwächen zu zeigen. Das erzeugt oft eine wunderbare Nähe. Ob mich jemand, der mich nicht kennt, für eine egoistische Karrierefrau hält, ist mir mittlerweile auch egal.
Das Beste aber ist, dass mein Mann ich seit einem Jahr Zuwachs bekommen haben. Nein, kein Haustier, wir haben auch kein Kind adoptiert. Wir haben eine junge Studentin bei uns aufgenommen. Platz war ja da (das „Kinderzimmer“ wurde ja nicht gebraucht) und so kam Mona in unser Leben. Wir haben zu dritt eine eigenwillige WG, ja fast ein „Familienleben“. Mein Mann und ich sind für Mona wie Eltern, denen man aber doch eine bisschen mehr erzählen kann. Ich genieße es mit ihr shoppen zu gehen und Kleider zu tauschen (mein Kleiderschrank ist nun deutlich leerer als früher). Wir können unsere Lebenserfahrung weitergeben. Und sie kann sie von uns leichter annehmen, weil wir eben nicht ihre Eltern sind. Ihre Familie bezeichnet uns als die „anderen Eltern“. Wie sie sagen, sind wir fest in ihren Herzen, so wie sie in unseren. Wenn Monas jüngere Schwester ebenfalls nach München zieht, wird es sicherlich etwas eng bei uns. Wir freuen uns trotzdem drauf.
Insgesamt hat die Kinderlosigkeit meinen Mann und mich viel offener gemacht.
Denn im Gegensatz zu Eltern mit Kindern wissen wir, dass wir keine eigene Familie haben, die sich um uns kümmert. Wenn wir im Alter nicht vereinsamen wollen, müssen wir jetzt schon lernen, mit Fremden zusammen zu leben und liebevolle Bindungen aufzubauen. In den letzten Jahren haben sich einige Freundschaften deutlich intensiviert. So verbringen wir Weihnachten bei den Nachbarn. Als Kinderlose ohne Neffen und Nichten kann Weihnachten nämlich echt einsam sein.
Das erste Mal waren wir etwas gehemmt, darf man überhaupt Fremde beim Fest der Familie stören? Wir dürfen, weil es mit uns einfach lustiger ist. Wir kennen die Geschichten der Oma noch nicht und hören entspannt zu. Wir spielen mit den Kindern, wenn die Eltern mal in Ruhe einen Schluck Wein trinken wollen.
Wenn ich in Rente bin, will ich eine Leihoma werden und anderen Familien helfen mit ihrem Alltag fertig zu werden. Aktuell plane ich, in einem Verein Kinder zu trainieren und gehe regelmäßig mit unserem 11 Jahre alten Nachbarjungen zum Klettern. Wie man sieht, es gibt so viel, wo man helfen und Teil einer Familie werden kann. Ich freue mich schon darauf!
Kathrin